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Urwaldgezwitscher – Eine Insel im Grünen

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Mompox, Leticia, Villa de Leyva, San Agustin, Ushuaia, Tupiza, Fort Portal, Lushoto, Colonia del Sacramento, Pisco, Mirow, Copacabana, Nong Khai, Kharkhorin, Puerto Iguazú, Rheinsberg, Sinaia, Oberhof, Sighișoara, Liepāja, Jurmala, Neuruppin, Plau…

Brainstorming. Meine Gedanken fließen, mein Kopf explodiert. Bilderkino. Kathedrale in Granada, bunte Dächer und Holzzäunchen in Mörön, Dekompressionskammer in Útila Town, Felskirchen in Lalibella, Flusstauchen in Bonito, mit besoffenen UNO-Mitarbeitern in Kibuye unterwegs… Viele Erlebnisse meiner Reisen finden sich in Krakelschrift im Notizblock niedergeschrieben. Zu lange her, zu wenig Zeit, sie in meinem Blog noch einmal zum Leben zu erwecken. Mir fehlen die Bilder, mir fehlt das Gefühl. Mir fehlen die Gerüche, die Klänge. Kleine Städte schrecken mich zum Leben und Wohnen ab, auf Reisen sind sie jedoch wunderbar. Im Urlaub will ich Klein. Je kleiner desto besser. Je kleiner desto erholsamer, je kleiner desto heimeliger, je kleiner, desto näher bin ich an der Natur. Und das schließlich zählt.

Ich schaukle in der Hängematte auf meinem kleinen Balkon hin und her. Mein Blick starrt auf den Baum auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Aus diesem zwitschert es seit Stunden. Nicht das übliche Großstadtgezwitscher, das mich in Deutschland immer wieder daran erinnert, dass es jetzt endlich Frühling ist. Nein, hier besteht das Konzert aus einer größeren Bandbreite, denn später stimmen noch Kröten, Grillen, Affen mit ein – Urwaldgezwitscher. Plötzlich entdecke ich einen größeren roten Farbklecks in diesem Baum. Es ist ein roter Ara. Aufgeregt versuche ich, die Kamera zu ertasten. In der Zwischenzeit haben sich noch zwei blaue Kleckse hinzugesellt. Nun starren mich drei Aras an. Sorge, dass sie wegfliegen könnten, bevor ich mein Foto geschossen habe, überkommt mich. Die Aras setzen tatsächlich hurtig zum Flug an. Noch immer habe ich den Auslöser nicht gedrückt. Doch plötzlich fliegen sie direkt in meine Richtung. Morgendlicher Besuch auf meinem Balkon. Drei Aras hocken nun seit einer Stunde auf meiner Balkonstange. Inmitten einer Kleinstadt. Es sind keine domestizierten Tiere, wie man sie sonst auf Reisen häufiger bei Einwohnern oder in Hostels antriftt. Nein, ihr Zuhause liegt nur wenige Schritte vor der Stadt.

Dieser Ort hat keine Grenzen, hat keine Schilder, er fließt einfach in den Urwald hinein. Der Ort ist ein Stück weit Urwald. Die Natur erobert sich noch immer jeden Abend und Morgen diesen Platz zurück, der einst Teil von ihr war. Auch die ordentlich angelegten, sauberen Straßen, die schlichten, gepflegten Holzhäuser, die blühenden Gärten können nicht darüber hinwegtäuschen. Würde der Amazonas austrocknen, wäre dieser Ort von der Außenwelt abgeschieden. (Tut er aber nicht, ist ja schließlich der wasserreichste Fluss der Erde.) Denn diese Stadt lebt vom Fluss. Es ist ein Leben am, vom und mit dem Fluss. Und manchmal sicherlich auch gegen den Strom. Puerto Nariño ist anders.

In der 7.000 Seelengemeinde am Amazonas-Arm Loretoyacu fahren nur zwei Autos – das kleine Müllfahrzeug und der Krankenwagen. Sonst lebt man verkehrslärmfrei, lässt man die unzähligen Motorboote, die morgens auf den Amazonas hinaus fahren und abends in den Heimathafen wieder zurückkehren, außer Acht. Wo sollte man auch mit einem Auto hinfahren? Mal eben in den Urwald?

Einen Überblick über das grüne Dickicht, das voller Leben steckt, erhält man von der Aussichtsplattform auf einer Anhöhe im Ortszentrum. Erst hier begreift man, dass diese Kleinstadt von der riesigen Fläche des Urwalds umgeben ist. Erst hier versteht man, dass dieser Ort wirklich eine Stadt ist, eine Lebensader mit Struktur: Gemeindeamt, Bibliothek, Fußballplatz, Hafenanlage, eine Handvoll Hostels, Kneipen und Einkaufsläden. Hier kommt man nicht für Sehenswürdigkeiten her. Die Lage, die Natur, die Ruhe sind die Qualitätsmerkmale dieser Stadt. Und die Anstrengung, nachhaltig mit Ressourcen umzugehen. Tatsächlich sind die Straßen für lateinamerikanische Verhältnisse seltsam geleckt. An gefühlt jeder Ecke hängt eine hellblaue Mülltonne. Zudem reinigen die Bürger selbst morgendlich die Straßen, Mülltrennung ist angesagt und auch mit Ressourcen wie Wasser und Strom wird ökologisch umgegangen. In Puerto Nariño lebt man nicht nur von den Naturressourcen sondern eben mittendrin. Und das schärft das Bewusstsein. Natürlich bedarf es noch eines engagierten Bürgermeisters, aber auch der Menschen, die hier alle an einem Strang ziehen. Drei verschiedene indigene Bevölkerungsgruppen (Ticuna, Cocama und Yagua ) leben in den zugehörigen Communities friedlich miteinander und das in einer Grenzgegend, von der man nicht unbedingt Sicherheit erwartet.

Eines Abends sprechen uns zwei gelangweilte Polizisten an. Ungefragt folgen sie uns zu einem entfernten Hostel und dann zurück zum Ort. Ein Jahr sind sie hier stationiert, 73 km entfernt von ihrer Heimatstadt Leticia. Zuvor waren sie auch noch nie hier. Als Einsatzort ist Puerto Nariño trotzdem eher „tranquillo“. In einem Land wie Kolumbien durchaus verständlich. Als wir uns als Deutsche outen, steigt ihr Interesse noch weiter. Oh, Deutschland ist weit. Von so weit kommt ihr hierher. Nun ja, ich glaube wir sind nicht die ersten Deutschen. Dass das ferne Land in Europa eine eigene Sprache spricht, überrascht nicht zum ersten Mal in Kolumbien. Viel überraschter sind wir. Man kennt hier durchaus die deutschen Fußballspieler, aber dass die wirklich nicht Englisch sprechen, verwundert dann schon. Da meldet sich der andere Polizist zu Wort und weiß, dass gerade zwei Deutsche von der ELN verschleppt wurden. Zwei deutsche Geißeln! Mh, das ist die Vorlage, um uns ausschweifend über die bedeutende Arbeit der Polizei und des Militärs aufzuklären. „Fe en la causa!“ Die haben auch wir.

Die Abende finden am Wasser statt. Hier befindet sich die größte Dichte an Kneipen und Einkaufsläden mit herrlichem Blick von den Veranden über das Wasser und auf den Fußballplatz. Wir befinden uns im Dreiländereck Brasilien-Kolumbien-Peru. Sicherlich kein Treffpunkt für Saubermänner. So lässt es sich nur vermuten, welchen Gewerben die hier abhängenden Männer und Zocker im Alltag nachgehen. Jeden Abend spielen sie vor der Granja La Avenida bei zahlreichen Kaffees um Geld. Höflich wird einem ebenso der Kaffee aus der Tienda ausgeschenkt. Dennoch, diese Männer beachten uns kaum, obwohl wir hier absolute Exoten sind und ich als einzige Frau ohnehin. Warum sich Gauner und Ganoven jedoch immer strikt an ihren Kaffees halten und auf der Veranda eines kleinen Einkaufsladens zocken, bleibt mir ein Rätsel. Sicherlich hat jeder Kerl seine Geschichte, aber erzählen tun sie mir diese nicht. Das Glücksspiel hat Vorrang.

Was kann man also tun, wenn man sich für einen Aufenthalt in der Wildnis entschieden hat und dem Glücksspiel nicht so wohlgesonnen ist? In der Hängematte schaukeln und sich treiben lassen oder die Umgebung erkunden. Mehrstündige oder –tägige Urwaldwanderungen, Besuche in den umliegenden indigenen Dörfern oder eben mit rosa Delfinen im nahegelegenen Lake Tarapoto schwimmen. Puerto Nariño ist ein Hafen, in den man jeden Abend zurückkehrt. Und das ist ein bisschen so, als ob ich von der deutschen Provinz nach Berlin zurückkomme. Hier gibt es alles. In Puerto Nariño gibt es verglichen zu den umliegenden Dörfern auch (fast) alles. Und das macht es zu einer richtigen Stadt und meinem kleinen Paradies.

Ein kleiner Makel tut sich dann doch noch auf. Als Vegetarier hat man es zugegebenermaßen nicht immer einfach. Früchte findet man zahlreich in den Vorgärten, weshalb also noch öffentlich verkaufen? Gemüse ist nahezu inexistent. Selbstversorgung funktioniert hier nur spärlich. Also suchen wir uns mit dem Marian ein kleines „Stammrestaurant“ am Wasser aus, in dem wir nach einmaliger Problemerläuterung uns an den Folgetagen darauf verlassen konnten, einen fleischfreien Teller mit Bohnen, Reis, Ei und Platanos zu erhalten. Nur als am letzten Tag Bohnen und Platanos ausgehen, wird es eng und langsam Zeit zu gehen.

Nachtrag: Nicht nur die Stadt selbst ist KLEIN, nein, hier hat sich auch das kleinste Äffchen der Welt heimisch gemacht – das Zwergseidenäffchen.

Text und Fotos: Madlen Brückner

 

4 Kommentare

  1. Schöne Geschichte! Muss ich auch mal hin, glaube ich…

    Kleine Anmerkung: Ich finde die sehr kleine Schrift in grau recht mühsam zu lesen, ein bisschen kontrastreicher wäre angenehmer…

    Liebe Grüße, Johannes

    • Madlen sagt

      Danke, Johannes, für Dein nettes Feedback! Ist wirklich ein schöner Flecken zum Entspannen und Natur genießen und trotzdem noch „Stadt“.
      Und ja, an der Schrift muss ich tatsächlich schnellstmöglich noch etwas ändern, denn die Texte sollen ja auch Spaß machen beim Lesen und die Augen nicht quälen 😉 Danke auch für diese Anmerkung. Viele Grüße, puri(y)stin Madlen

  2. Sehr schöner Artikel, ich freu mich, dass Ihr mitgemacht habt! Ich stimme Johannes zu: Da muss ich glaube ich auch mal hin! Und die Aras erst!!! (Zählen zu meinen Lieblingstieren, ich hab sie aber noch nie in freier Wildbahn gesehen…)

  3. Madlen sagt

    Danke auch Dir liebe Susi, für Dein nettes Feedback und die tolle Idee zur Blogparade! Allein zum Birdwatching kann man den ganzen Tag in der Hängematte schaukeln 😉 Man muss nicht mal in die Natur gehen, sondern in Puerto Nariño kommt die Natur zu Dir.
    Viele Grüße, puri(y)stin Madlen

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