Der Flug mit Germanwings hebt verspätet ab. Besser kann es der Pilot nicht ausdrücken. Wir werden trotzdem pünktlich landen und vor allem wird uns das Wetter entschädigen. Denn genauso wie wir die Berliner Wolkendecke morgens im Regen durchbrechen, fallen wir zwei Stunden später in ein wahres Sonnenloch. Bukarest, 13 Uhr, über 34 Grad und die Jeans klebt schon bei den ersten Schritten auf rumänischem Boden. Ich will mich nicht beschweren. Das Wetter nimmt schon meine gewohnten lateinamerikanischen Züge an und heißt mich im Urlaub willkommen. Weggeblasen ist der trübe deutsche Sommer, weggeblasen unser verregneter letzter Kurztrip nach Stockholm. Baneasa ist das Gegenteil von Stockholm und so ziemlich das, was man sich sonst so als lateinamerikanischen Flughafen vorstellt. Ein kleines Gebäude aus Cheauscescus Zeiten ist der Hafen unserer Ankunft. Mit einem Fassungsvermögen von gerade einmal einer Maschine, muss die Kontrolle die Schlange schnell abfertigen, um den Mittelpunkt der Überfrachtung an das einzige superkurze Gepäckband zu verlagern. Größe ist hier alles, sonst hat man verloren. So kommt es in der Hektik und Unübersichtlichkeit doch schon einmal vor, dass die Rumäninnen mit deutschen Markenrollkoffern den Ausgang des Flughafengebäudes ansteuern. Unser Rucksack zieht nur wenig Aufmerksamkeit auf sich. Das sich die ganze i-Linie darin versammelt, kann der Rumäne nicht ahnen oder wie wir es so schön sagen, wir haben nichts im Rucksack, was der Rumäne nicht haben könnte. Wir verdichten die Aussage einmal auf „der reisende Rumäne“. Und während ich auf die übermalten und bröckelnden Wände des kleinen Warteraums starre, fliehen immer mehr unserer Mitflieger zum Ausgang. Man will mir den ausgedehnten Anblick als Vorbereitung auf unseren neusten EU-Staat nicht vergönnen und so spuckt die Gepäckluge unseren Rucksack als letztes aus.
Inzwischen bin ich voll und ganz mit Leib und Seele im Ostblock angekommen, den ich doch vor 21 Jahren verlassen habe. Schlimmer wird’s nimmer. Und da die Temperaturen uns nur noch in die Stadt treiben, machen wir uns nicht die Mühe, den Bus ins City Center aufzusuchen, sondern steigen ins nächste Taxi. Das Taxometer beginnt bei 23 Lei. Das stand in keinem Reiseführer! Dabei lockt auf der Außenscheibe das Angebot jeder Kilometer 1,5 Lei. Und bei 10 Kilometern bin ich noch lange nicht da, wo das Taxometer bereits angekommen glaubt. Warum nur schlägt man sich im Urlaub mit solchen Taxinervereien herum, die man sich in seiner Heimat erspart. Aber die Sonne stimmt mich nun fröhlich, wenngleich man den rumänischen Fahrer in punkto Gesprächig- und Freundlichkeit glatt in die deutsche Heimat schicken könnte. Am Ende erreicht das Taxometer 37,5 Lei. Vielleicht auch 37,3. Aber was es nicht anzeigt, und das weiss ich ziemlich sicher, sind 40,0 Lei, die der Taxist verlangt. Aufschlag, Zuschlag, oder Länderfinanzausgleich?
Ich will nicht klagen, aber bei über 30 Grad ist Tourist sein auch nicht einfach. So schleppen wir uns für’s erste durch den durchaus sehr erholsamen und sehr schönen Park Cismigiu, der sich direkt vor unserer Bleibe befindet, in Richtung Altstadt. Ich habe wohl noch nie eine so ausgestorbene Hauptstadt besucht. Aber Menschen machen sich in Bukarest zumindest in der sommerlichen Mittagshitze rar. So stören beim Fotografieren der unsanierten Altbaufassaden sicherlich keine Personen, doch aber die überproportional zu den vorhandenen Menschen aufgestellten Sonnenschirme vor den zahlreichen Kneipen. Vor lauter Schirm sieht man das Mauerwerk nicht. Und aus den Sonnendecks spuckt es angewärmtes Wasser zur Erfrischung. Von so viel Luftfeuchtigkeit zwischen den Kneipen stehen einem glatt die Kopfhaare zu Berge. Zischen Victoriei und Bratianu reihen sich zehn Simon-Dach-Straßen auf, kreuzen sich und stecken wie ein Legowerk aneinander. So viel Restaurant verträgt man nicht. Erfrischende Abwechslung bieten nicht die angeblich kühlenden Stöße aus den Dächern, sondern das Unfertige. 21 Jahre nach Ende des Cheauscescu-Regimes ist Bukarests Mitte noch eine Baustelle. Und wo eben noch ein ganzer Straßenzug fertig saniert ist, wird er an der nächsten Kreuzung von einer aufgerissenen Straße jäh beendet. Und wenn nicht dies, dann lugt doch zumindest immer irgendwo ein bisschen Ostromantik durch. Doch überschattet wird hier im Zentrum alles von dem Parlamentsgebäude, das erhaben auf einer Anhöhe thront.
Am Abend essen wir im Park Cismigiu unser Abendbrot. Die Bukarester zieht es nun ebenso in den Park. Ob mit Kinderwagen, Rad oder Inlines. Man mag fast glauben, ein ganz normales Stadtleben vor sich zu sehen, als ein älterer Rumäne auf uns zugeht und glaubt, Boris Becker vor sich zu haben. Es spricht für ihn, dass er von Boris auch nur 5 Lei für sein Lebensunglück verlangt. Ich bin mir sicher, Boris hätte ein größeres Herz und Portmonaie als mein Reisebegleiter. Und ringsum unsere Bank mit der aufgereihten Nahrung setzen sich vor allem Rentner nieder – mit Hut und Fächer gegen die noch immer große Hitze bewaffnet. Fast erinnert mich diese Szenerie an die würdevollen Rentner in Buenos Aires. Am Saftstand wird noch schnell eine Limonada erworben – schließlich ist Urlaub und die gehört doch mal dazu. Limetten, Wasser – nur der fehlende Rohrzucker lässt mich wieder wissen, Rumänien ist nicht Lateinamerika.