Wir sind in der Kornkammer Bulgariens. Und das sieht man. Seit einer Stunde durschneidet unsere Straße endlose Felder, auf denen Mais, Erdbeeren und Getreide wachsen. Kleine Gruppen von Bauern hacken unter der brennenden Sonne auf die Erde ein. Nur ein Kopftuch dient den Frauen als Schutz. Dass diese Region noch vor einer Woche unter Wasser stand und mit einer der schlimmsten Überschwemmungskatastrophen zu kämpfen hatte, sieht man kaum.
Auch die Orte liegen an diesem Morgen verschlafen unter dem wolkenlosen Himmel. In der Luft liegt ein zarter Duft aus Rosen und anderen Blumen, die die Straßen in den Dörfern zieren. Fast meint man, hier im Nordosten Bulgariens an der rumänischen Grenze das Korrektiv zu den Bettenburgen von Goldstrand und Albena gefunden zu haben. Dass es die Ruhe vor dem Sturm sei, stört mich dabei nicht. Denn in vier Tagen werden Tausende Menschen auf der Klippe der Kalksteinkliffs von Kamen Bryag ihre Zelte aufschlagen und in den Sommer hineinfeiern. July Morning nennt man dieses bulgarische Hippie-Ritual. Dies sei noch ein schönes Überbleibsel aus dem Sozialismus, betont unser Guide Atanas.
Eine andere Tradition sei es, zur Begrüßung des Frühlings an dem Ast des Baumes, an dem man die ersten Blüten entdeckt, ein rot-weißes Bändchen zu befestigen. Tatsächlich entdecken wir auf dem Weg zum Kaliakra Kap ein solches Band. Aber nicht nur das. Denn unter unseren Klippen des Kaps springen immer wieder freudig zwei Delfine aus dem Wasser. Robbenkolonien und Haie gäbe es hier auch, meint Atanas, doch die zeigen sich nicht in der wilden See. Es ist ein stürmischer Tag, an dem wir uns besonders vorsichtig an den Felsrand herantasten, um die rotgold schimmernde Steilküste, die sich nördlich und südlich von hier erstreckt, zu bestaunen.
Wie häufig an solchen magischen Orten, ranken sich auch um dieses Kap einige Legenden. So soll sich das Mädchen Kaliakra mit 40 blonden Schicksalsgenossinnen angesichts der türkischen Eroberung Bulgariens von den steilen Klippen ins Meer gestürzt haben, um nicht in einem Harem zu enden. Auch St. Nikolai soll vor den Osmanen Reiß aus genommen haben. Während er davon lief, wuchs die Halbinsel auf eine Länge von 2,5 km an. Die Festung auf dem Kap gibt es seit der Antike. Den Namen Kaliakra jedoch trägt diese erst seit dem Mittelalter – nachdem sie die Thraker Tirisis, die Römer Akra und die Byzantiner Akres Kastelum genannt hatten. In den Höhlen der knapp 70 Meter hohen Felsen befinden sich u.a. ein Museum und auch ein Restaurant.
Weiter nördlich am Kap Schabla wartet der höchste, älteste und am weitesten östlich gelegene Leuchtturm der bulgarischen Schwarzmeerküste. Einst diente er den Seeleuten als Orientierung und Zeichen, dass diese sich nun auf halbem Weg zwischen Bosporus und Donaudelta befanden. Heute ragt eine lange Seebrücke in das Schwarze Meer, die von Kormoranen vereinnahmt wurde.
Auf dem Weg nach Krapets fallen mir immer wieder kleine Ölförderanlagen auf, die die Harmonie der Felder stören. Einstöckige Grauputzhäuser mit liebevollen Gärten und Weinreben am Zaun markieren die Ortschaft. Dahinter liegen auf einer Böschung zum Strand kleine Holzhäuser – farbige Boote und Fischnetze liegen im Sand. Nur keine Spur von den Fischern. Wir fahren zum Badestrand weiter und passieren wieder verfallene kleine Ferienbungalowanlagen. Wer heute nach Krapets kommt, schlägt ein Zelt auf oder mietet sich ein Zimmer. Vor allem Biker zieht dieser Strand wohl in den heißen Sommertagen an. Doch heute teilen sich nur eine Handvoll Menschen den breiten Sandstrand, auf dem sich Berge von Muscheln verteilt haben. Ich laufe ein Stück Richtung Süden den roten Klippen entgegen, bevor ich wieder ins Auto steige.
Nicht nur wir sind hier unterwegs, sondern auch zahlreiche Vögel, die vor allem Birdwatcher besonders in den Wintermonaten anziehen. Denn diese Gegend liegt auf der Via Pontica – der Ostroute auf ihrem Weg in den Süden. Kleine Seen liegen hier dicht hinter dem breiten Strandstreifen der Schwarzmeerküste. Dichtes Schilf biegt sich im Wind. Doch die Vögel sind nicht nur der einzige Schatz im Durankulak See. Hier wurde auch erst kürzlich ein Goldschatz auf der kleinen Insel im See gefunden. Man sagt, es sei das älteste Goldstück Bulgariens, das man hier fand.
6 km vor der rumänischen Grenze kehren wir um. Bald wird die einsame Straße mit Schildern, die vor dem Überqueren von Pferdekutschen warnen, Kavarna, die Stadt des Rocks, durchqueren. Hier spielten nach der Wende als erstes große internationale Bands wie Scorpions, Europe oder Motörhead. Die etwas in die Tage gekommenen Plattenbauten aus dem Sozialismus tragen mit Stolz Bilder dieser Stars. Auch heute noch treffen sich jährlich Rock-Fans Ende Juni zum Kavarna Rock.
Vor uns löst sich in der prallen Nachmittagssonne der Asphalt auf. Wie eine Fata Morgana flimmern Bilder vor meinen Augen. Ein Schleier trennt das eine Bulgarien von dem anderen. Und dahinter? Dahinter warten die Tourismuskomplexe Albena und Goldstrand. Das pralle Vergnügen löst die versteckten Naturschönheiten ab. Atanas legt eine CD von Oratniza ein. Das Gefühl dieses Roadtrips hallt mit jedem Ton aus den Boxen noch nach.
Route:
Thracian Cliffs – Kavarna – Kaliakra – Kamen Bryag – Schabla – Krapets – Durankulak
Rundkurs: ca. 100 km
Events:
- Festival Kavarna Rock in Kavarna immer Ende Juni
- July Morning am 30. Juni
Während meiner Reise wurde ich durch das Bulgarische Tourismusamt unterstützt. Alle Ansichten sind meine eigenen.
Meine Güte wie türkis das Wasser ist! Und so ein Glück, auch gleich Delphine darin zu beobachten!
Von den Delfinen war ich auch sehr überrascht. Zwei Stunden zuvor sollen es sogar 11 gewesen sein. Also Geheimtipp für Delfin-Watching. LG, Madlen
Du machst mir echt Lust auf das Land! Bulgarien hatte ich so gar nie im Visier. Wohl ein Fehler?!
Übrigens tolle bei Istagram!
Danke, liebe Eva. Ich werde sicherlich auch noch einmal zurückkehren – das nächste Mal Zentral-Bulgarien und ins Gebirge. Gibt noch so viel zu erkunden 😉 LG, Madlen
Oh den Leuchtturm hätt ich auch gern gesehen! Da muss ich wohl noch mal los…
Dafür hast Du, liebe Nicole, sicherlich die 11 Delfine festgehalten und uns nur noch 2 übrig gelassen 😉 LG, Madlen