Allgemein, Blog, maddyswelt, Russland
Kommentare 2

Über Ulan-Udè, Bator und unseren letzten Tag in Russland. Transsib Teil 6

Ulan Ude

ENGLISH VERSION HERE
Ein kleiner Schreck durchfährt uns, als wir an die Anzeigetafel der Bahnhofshalle in Irkutsk nach unserem Zug schauen. Die Nummer 2 ist nirgends zu finden. Anstatt unseren Reiseplan zücken wir nun unser Ticket und finden heraus, es ist doch Zug Nummer 8 von Novosibirsk nach Wladiwostok und der hat bereits eine kleine Verspätung. Im Zehn-Minuten-Takt schraubt sich diese Verspätung immer weiter nach oben. Salamischeibentaktik zur Beruhigung der Passagiere. Gerade als wir am Schalter nach der wirklichen Abfahrtszeit fragen wollen, kommt die Ticketverkäuferin hinter ihrem Schalter vor und in die Wartehalle gelaufen. Freudig verkündet sie uns „Put adin!“ (Bahnsteig 1).

Auf Bahnsteig 1 wartet bereits unsere Provodniza – diese kommt nicht ganz so streng daher und ringt sich ein Kichern und Lachen ab. Als es später bei unseren Fragen umständlich zu werden droht, verliert sie leider auch dieses und so bleibt unser Eindruck von den russischen Schaffnerinnen eher getrübt. Anders von unseren Abteilnachbarn, die mit Händen und Füßen, Wörterbüchern und Handyübersetzungstools uns die wichtigen Informationen geben. Es geht doch, man muss eben bemüht sein und dran bleiben.

Wir sind müde vom Tag und wissen, dass in sechs Stunden unsere eh zu kurze Nacht bereits wieder beendet sein wird. Es ist unsere letzte Nacht im 1. Klasse Zweibett-Abteil und das verheißt Ruhe und Schlaf und das in einer gewissen Komfortzone. Als wir dieses betreten, sind wir, sagen wir es mal so, recht überrascht. Der Zug hat seine besten Zeiten schon gesehen – nur eben ohne uns. Plüschiges Dekor in schummriger Atmosphäre – viel Holz, wenig Licht. Ein Holzton, den ich inzwischen nicht mehr sehen kann. Denn genau aus diesen Holzplatten, die in den russischen Zügen verarbeitet worden sind, war auch meine Kinderzimmerschrankwand zu Ostzeiten gemacht. Licht brauchen wir ohnehin nicht, denn die nächsten sechs Stunden schlafen wir. Leider. Gern hätten wir die wohl schönste Teilstrecke der ganzen Transsibroute von Irkutsk nach Ulan-Udè um den Baikalsee bei Tag gesehen. Ein Grund mehr, irgendwann hierher zurück zu kehren.

Unser Zugabteil im Zug Nr. 8

Unser Zugabteil im Zug Nr. 8

Schlafraum im Bahnhof Ulan Ude

Schlafraum im Bahnhof Ulan Ude

Eine Stunde vor Irkutsk weckt uns nicht die Provodniza, sondern ein Schaffner aus dem monotonen Ruckeln während das restliche Abteil noch immer schläft. Müde torkeln wir über den Bahnsteig, trotz Verspätung ist es kurz nach fünf Uhr. Was macht man um so eine Zeit an einem kühlen Morgen in einer fremden, sibirischen Stadt? Komnata otdycha ist die Lösung. Im Bahnhof werden Betten stundenweise vermietet und so geben wir uns einem vierstündigen Vergnügen hin und buchen bis 9 Uhr. Spricht es für diesen Vierbett-Schlafsaal oder gegen das Hotel Burjatia, das zu den besten Adressen Ulan-Udès gehören soll, dass wir uns im Bahnhofsschlafsaal pudelwohl fühlen und im Hotel später nicht? Immerhin dürfen wir dort ohne Murren schon um 10 Uhr einchecken. Vielleicht auch nur deshalb, weil man sowieso wieder schnell den Rückwärtsgang einlegt. Ich bin ja einiges gewöhnt, aber verkappte beste Adressen, die sich als ramschige, hässliche Kabuffs entpuppen und noch nicht mal billig sind, mag ich nun mal nicht. Es liegt an der Etage, finden wir später heraus. Die Komfortzone befindet sich nunmal oberhalb der 7.

Holzhaus in Ulan Ude

Holzhaus in Ulan Ude

Markt in Ulan Ude

Markt in Ulan Ude

Ulan-Udè verwöhnt uns mit einem sehr entspannten, sehr sonnigen Tag. Viele Grünflächen mit gepflegten Plätzen und eine kleine grüne Fußgängerzone laden tatsächlich auch die Einheimischen zum Verweilen ein. Und dabei ist es, als hätte jemand die Bremse gezogen. Keine Hektik, alles läuft in Zeitlupe ab oder vielleicht auch nur an uns durch Übermüdung vorüber. Wir treffen auf eine bunte Mischung an asiatischer Freundlichkeit. Die Leute lächeln, kommunizieren, sprechen uns an. „Deutschland? Berlin?“ Ja, kleine Small Talks entstehen an einem Tag, wie sie auf der ganzen Reise nicht passierten. Ich bin beglückt und weiß, das ist der Teil Russlands, der mir gefällt. Zum Reisen gehören nun mal nicht nur Städte, Natur, Kultur – sondern auch Menschen. Und an die kam ich in den letzten Tagen einfach zu wenig ran. Das sei ein Stück weit der Sprache geschuldet, aber nicht nur. Denn in anderen Ländern ging es ja auch.

Opernplatz in Ulan Ude

Opernplatz in Ulan Ude

Opernplatz in Ulan Ude

Opernplatz in Ulan Ude

Und dann ist da dieser Taxifahrer, der uns auf dem Zentralmarkt aufgabelt. Bator freut sich, als er nemezki hört und erzählt uns von seinem Vater. Damit auch kein Missverständnis entsteht, hält er ein Magazin mit Adolf hoch. Ja, sein Vater hat für die Deutschen im Zweiten Weltkrieg gekämpft und geriet durch russische Gefangenschaft nach Sibirien. Er selbst mag die Deutschen, deutsche Kultur ist gut. Diese wenigen Sätze wiederholt er immer wieder auf Russisch als wolle er das ganze noch mehr unterstreichen. Verstanden hatten wir längst. Vor Freude zeigt er uns auf dem Weg zum Ethnographischen Freiluftmuseum das neue Dazan von Ulan-Udè. Einst war Ulan-Udè reich an Gebetstempeln, die jedoch in den 30er Jahren verschwanden. Doch in Burjatien erwacht ebenso wie im Nachbarland, der Mongolei, zunehmend der Buddhismus und auch Bator scheint sich daran zu erfreuen. Aus dem kurzen Stopp wird eine richtige Führung, die er gleich zum Beten nutzt.

Der größte Leninkopf in ganz Russland

Der größte Leninkopf in ganz Russland

Unser Hotel Burjatija

Unser Hotel Burjatija

Am Ethnographischen Freiluftmuseum trennen sich unsere Wege. Als wir Bator Trinkgeld anbieten, lehnt er beschämt ab. Wir verbringen ein paar schöne Stunden ein bisschen abseits der Stadt und lernen in einer traumhaften Kulisse von Hügeln und Kiefernwäldern mehr über die in Transbaikalien ansässigen ethnischen Gruppen. In sieben Komplexe gliedert sich der Park – Behausungen von Ewenken, Kosaken und verbannten Altgläubigen – alles in schöner Holzhaus, Tipi- oder Jurtenmanier. Daneben gibt es auch einen Tierpark, in dem es vom Tiger über Wölfe bis zum Bären die Tierwelt Sibiriens zu sehen gibt

Ulan Ude

Und einen gibt es immer – einen Lenin. Wieder zurück in der Stadt suchen wir den Sowjetischen Platz mit dem riesigen Lenin-Kopf aus Granit auf. Extra für die Weltausstellung in Kanada angefertigt, wurde er danach verschmäht. Keine Stadt wollte ihn haben und so kam der fünf Meter hohe Kopf nach Ulan-Udè. Hinter Lenin flattert die russische und burjatische Fahne. Blau-weiß-gelb – so sind die Farben Burjatiens. Himmel, Reinheit, Sonne – so zeigt sich uns diese Stadt. Glanzvoll erscheinen auch der Triumphbogen, das Tor zur Altstadt an der Leninstraße, und die Burjatische Nationaloper, vor der ein Springbrunnen Anziehungspunkt vieler Jugendlicher, Hochzeitspaare und Wahlkämpfer an diesem Nachmittag ist. Und abends ertönt aus den Lautsprechern, wie bereits in Irkutsk und Krasnojarsk, klassische Musik im Rhythmus des Springbrunnens. So harmlos war die Beschallung sicherlich nicht immer.

Alte Handelshäuser am Revolutionsplatz, schöne Holzhäuser in der Flussgegend der Ude und Kirchen wie die Pfingstkirche auf dem Hügel neben dem Burjatischen Schauspielhaus und die Hodigitreja-Kathedrale – in Ulan-Udè gibt es für einen Tag viel zu sehen. Nur von der Einbindung des Flusses in das Stadtbild bin ich etwas enttäuscht.

Ulan-Udè ist die letzte russische Station auf unserer Reise. Ein bisschen Wehmut spielt mit. Und als morgens um 9 Uhr lautstarke, russische Musik vom Sowjetischen Platz in unser Hotelzimmer schallt und dazu der Regen einsetzt, fallen ein paar Tränen  auf das kalte Pflaster. Wir verlassen heute Russland, wir verlassen heute die Route der Transsibirischen Eisenbahn und die omnipräsente Moskauer Zeit, aber noch wird unsere Reise nicht zu Ende sein.

Begleitet uns auf unserer Reise unter dem Hashtag #puriygoeseast*

*PS: Hilfe, auf den nächsten zwei Etappen haben wir kein Facebook und Twitter, aber auf Instagram findet Ihr zumindest unsere Bildberichterstattung und hier im Blog natürlich weitere Beiträge 😉 >>> http://instagram.com/puriyunterwegs

Zum Teil 1: Moskau – Wo russische Märchen beginnen.
Zum Teil 2: Hop on, hop off und manchmal geht gar nichts … Moskau Teil 2
Zum Teil 3: Missverständnisse und der Luxus Bahnreisender. Transsib Teil 1
Zum Teil 4: Nach Asien auf dem Landweg. Transsib Teil 2. Jekaterinburg und die Fahrt nach Krasnojarsk
Zum Teil 5: Durch Sibirien. Transsib Teil 3
Zum Teil 6: Am Baikalsee. Transsib Teil 4
Zum Teil 7: Irkutsk – das Paris des Ostens? Transsib Teil 5
Zum Teil 9: Zug Nummer 4 – und einmal durch die Mongolei. Transsib Teil 7
Zum Teil 10: Datong und die Tour mit den Touren. Transsib Teil 8
Zum Teil 11: Peking – wo Drachen in den Himmel steigen.
Zum Teil 12: Im Dunstkreis der Mauer oder 40 Minuten verschwendete Lebenszeit

Auf unserer Reise werden wir durch Lernidee unterstützt. Alle Ansichten sind unsere eigenen.

ENGLISH VERSION
About Ulan-Udè, Bator and our last day in Russia. Trans-Sib part 6.

We are a little shocked as we look for our train on the destination board at the train station in Irkutsk. Number 2 is nowhere to be found. We whip out our tickets instead of our travelling plan and find out that it is train number 8 from Novosibirsk to Vladivostok after all. It is already a little late. This delay is revised upwards every ten minutes. Salami tactics to calm the passengers. Just as we want to ask for the real departure time at the counter, the ticket salesperson comes out from behind her desk and runs into the waiting hall. Gladly, she announces “Put adin!” (platform 1).

Our provodniza is waiting for us on platform 1 – she doesn’t seem quite so rigorous and forces a giggle and a smile. But as our questions seem to make everything more difficult, she loses her smile and our impression of Russian conductresses stays rather negative. Our cabin neighbours are different. They try everything, including dictionaries and mobile translation tools, to give us the most important information. There we go! You just have to be anxious and stay on the ball.

We are tired and also know that our very short night is going to end in six hours again. It is our last night in the first class double bed compartment and that means quiet and sleep in a comfort zone. As we step into our compartment, we are quite surprised, so to say. The train has had its days – just without us. Plushy décor and a dim atmosphere – a lot of wood, relatively little light. And the wood is something I can’t see anymore, because it’s exactly the same kind of wood the cupboard in my room was made of in GDR times. We don’t need light anyway, as we are going to sleep the whole six hours. Unfortunately. I would have loved to see the perhaps most beautiful part of the whole Trans-Sib route from Irkutsk to Ulan-Udè around Lake Baikal by day. Another reason to come back here one day.

One hour before we arrive in Ulan-Udè, it is not the provodniza that wakes us from the monotone bucking, but a conductor, while the rest of the compartment is still sleeping. Tiredly, we are lurching over the platform. It is just after 5 am, despite the delay. What is there to do at this hour on a cool morning in a foreign, Siberian city? Komnata otdycha is the solution. In the train station, there are beds to let hourly and therefore, we book two beds with the greatest of pleasure until 9am. Does it speak for this four-bed dorm room or against the hotel Buriatia, which is supposed to rank among the prime addresses of Ulan-Udè, that we feel completely contented in the train station dorm but not in the hotel later? At least they let us check in at 10 am uncomplainingly, but maybe only because you quickly go into reverse again anyway. I am used to a lot, but I just don’t like prime addresses in disguise that turn out to be messy and ugly coops, which aren’t even cheap. We find out later that it is the floor. The comfort zone is located above the seventh floor.

Ulan-Udè is pampering us with a very relaxed, very sunny day. Many green areas with trimmed places and a small pedestrian zone even invite the locals to stay. And it seems as if someone pulled the brake. No rush, everything is in slow motion or it just drifts past us because we are so tired. We are encountering a colourful mix of Asian kindness. People are smiling, communicating, talking to us. “Germany? Berlin?” Yes, we are making more small talk on one day than we did during the whole trip. I am happy and I know that this is the part of Russia I like. Travelling is not only about the cities, the nature and the culture – but also about the people. And I just didn’t get close to anyone in the last few days. That is somewhat due to the language, but not only. It worked well in other countries, too.

And then there is this taxi driver, who picks us up at the central market. Bator is delighted as he hears “nemezki” and tells us about his father. To avoid any misunderstandings he holds up a magazine with Adolf on it. Yes, his father fought for Germany during the Second World War and came to Siberia as a prisoner of Russia. He likes the Germans. German culture is good. He repeats these few sentences in Russian over and over again as if he wants to emphasize all that. We’ve understood already. Out of sheer joy, he shows us the new Dazan of Ulan-Udè on the way to the ethnographic open-air museum. Ulan-Udè was once abundant with prayer temples, which disappeared during the 30s, though. But the Buddhism increasingly arises in Buriatia just as in its neighbouring country Mongolia and Bator seems to delight in that as well. The short stop turns into a real guided tour, which he instantly uses for prayer.

The ethnographic open-air museum is the point where we part company. We want to give Bator a tip, but he rejects ashamedly. We spend a few lovely hours slightly away from the city and learn more about the ethnic groups living in trans-Baikal within a beautiful scenery of hills and pine forests. The park is divided into seven complexes – housings of the Evenks, Cossacks and abandoned Old Believers – and everything is made in a beautiful wooden house, tipi or yurt manner. There is also a zoo next door, where you can find the animal world of Siberia, from tigers to wolves to bears.

And there is always one – one Lenin. Back in the city, we look for the Soviet Square with the huge Lenin-head made of granite. It was especially made for the world exhibition in Canada and was despised afterwards. No city wanted to take it, so the five metre head came to Ulan-Udè. The Russian and the Buriatian flags are fluttering in the wind behind Lenin. Blue-white-yellow – those are the colours of Buriatia. Sky, purity, sun – that’s how this city presents itself to us. The triumphal arc, the gate to the historic city at Lenin Street, appears glamorous, too and the fountain in front of the Buratian national theatre seems to be a main attraction for many teenagers, bridal couples and campaigners during this afternoon. And there is classical music to the rhythm of the fountain coming out of the loudspeakers in the evening, just like in Irkutsk and Krasnoyarsk. The acoustic irradiation wasn’t probably always this harmless.
Old trading houses at Revolution Square, beautiful wooden houses in the area of the river Ude and churches like the Pentecostal church on the hill next to the Buriatian theatre or the Hodigitreja-cathedral – there is a lot to see in one day. The only thing I am a bit disappointed in is the integration of the river into the cityscape.

Ulan-Udè is the last Russian stop on our trip. There is a little bit of melancholy. And as there is loud Russian music echoing into our room from the Soviet Square at nine in the morning and it starts raining on top of that, a few tears are shed onto the cold pavement. We are leaving Russia today. We are leaving the route of the Trans-Siberian Railway as well as the omnipresent Moscow time, but our journey isn’t over yet.

Follow us on our trip through Russia, Mongolia and China with the Transsib under #puriygoeseast.

We are being supported on our trip by Lernidee. All opinions are our own ones.

2 Kommentare

  1. Toll! Ich muss mir unbedingt die anderen Bericht zur Reise durchlesen! Auf Instagram hatte ich schon alle Stationen verfolgt : ) комната ist eines der wenigen Worte an die ich mich noch aus dem Russisch-Unterricht – hier bei uns im Münsterland – erinnere. Schade, würde mich gern noch mehr Vokabular parat haben.
    Sonnige Grüße
    Jutta

    • Danke Jutta, Du hattest Russisch? Planst Du eine Reise nach Russland?
      6 Jahre Russisch Unterricht waren leider auch für mir nicht sehr hilfreich auf meiner Reise, wenn sie 20 Jahre zurückliegen 😉 Aber immerhin halfen die Kenntnisse der kyrillischen Schrift. Dennoch ist es ratsam, Russisch zu können, denn dann wird einem eher ein herzliches Lächeln entgegengebracht… LG, Madlen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert