Um 2.30 Uhr nachts soll es gewesen sein, als das Navigationssystem am Bord 0°00′ anzeigte. Gern hätte ich den Blick auf den Äquator gewagt, doch in Ecuador ist man ohnehin ständig am Überqueren des nullten Breitengrads und all die Wasser- und Eispielchen hatte ich bereits einige Tage zuvor im Intinan Museum absolviert.
Wir befinden uns nun auf der Nordhalbkugel, und das Wasser im Waschbecken gibt uns Recht. Unser Schiff, die Santa Cruz, hat sich gegen 1 Uhr auf nördlichen Kurs begeben. Wieder begleitete uns Motorengeräusch im Schlaf, das erst um 6 Uhr stoppte, als wir den Vulkankessel der kleinen Insel Genovesa erreicht hatten.
Genovesa ist die einzige Insel, die man im Norden besuchen darf. Und spektakulär ist unser Ankerplatz dazu auch noch. Eine kleine Öffnung zeigt gen Pazifik, ansonsten ragt an allen Seiten des hufeisenförmigen Kraters eine ca. 15 bis 20 m hohe Steilküste in verschiedenen Brauntönen gen Himmel, der sich zu unserer Ankunft sehr zugezogen zeigt. Der für diese Jahreszeit typische Nieselregen Garua liegt in der Luft und legt eine dünne Schicht Wasser auf unsere Haut.
Da die Besucherzahl aufgrund strikter Regeln noch stärker beschränkt ist, als ohnehin schon auf den Galapagosinseln, darf die fast 90 köpfige Besatzung unseres Schiffes nur etappenweise die Insel betreten. Das schützt die Tiere, die nicht täglich einem Besuchersturm ausgesetzt sind und erfreut uns, denn wir wir müssen als 2. Gruppe erst um 8.30 Uhr ausschiffen und können noch ein bisschen länger auf dem Schiff ruhen. Während wir nach unserem Frühstück noch einmal einen Blick vom Oberdeck werfen, erblicken wir gleich neben unserer Santa Cruz das kleinere und noch exklusivere Schwesterschiff – die La Pinta. Dort winkt uns mit Gerhard ein „alter Bekannter“ herüber, den wir später noch zum Mittagessen extra auf die Santa Cruz einladen und mit einem Schlauchboot „einschiffen“ lassen.
Während unter unserem Schlauchboot Kaiserfische, Papageifische und Riffbarsche schwimmen, haben es sich Nachtreiher, Tropikvogel, Gabelschwanzmöwe, Nazcatölpel, Rotfußtölpel im bröckelnden Gestein der Felswand bequem gemacht. Ein Seelöwe begleitet unser Schlauchboot – taucht mal vor, mal neben uns auf und wieder ab. Auch die raren Seebären zeigen sich und sonnen sich am felsigen Ufer. Ein kurzes, kräftiges Brüllen tönt zu unserem Boot hinüber. Ein Seebär schickt sich an, sich zu einem anderen zu gesellen, der ihn wiederum lauthals vertreibt. Seebären sind Einzelgänger, weiss unser Guide Maria. Jeder liegt auf einem Stein, während sich Seelöwen gern aneinander kuscheln.
Wir legen an den Prince Phillip Steps an, wo wir Boot mit Stufen tauschen. Ein kurzer Anstieg ist zu passieren, dann sind wir auf dem Kraterrand, der voller Balsamo-Bäumen und Nestern von Nazcatölpeln gesät ist. Es bietet sich eine surreale Szenerie, die man als Kulisse für einen Endzeitfilm wählen könnte. In der trockenen Vegetation auf steinigem Boden finden sich überall zerzauste Vögelchen und auch die mit den bunten Füßchen. Es ist eine Welt der Tölpel, in die wir die nächsten Minuten tölpelhaft hineinstolpern.
Um uns herum piepst es. Kleine geschlüpfte Nazcatölpel suchen den Schutz unter dem wärmenden Bauch der Mutter. Unter einem Gefieder verstecken sich gleich zwei, doch nur ein Kleines wird überleben, meint Maria. Brudermord nennt man dies, oder eben nach dem Naturgesetz „der Stärkere überlebt“.
Während die Nazcatölpel auf dem Boden nisten, befinden sich die Nester der Rotfußtölpel in den Bäumen. Es ist wie in einer anderen Welt, die nach unbekannten Gesetzen funktioniert. Eine karge, trockene Landschaft ohne Süßwasser, in der kein gestrandeter Mensch überleben könnte, ist plötzlich voller Leben und doch auch bestückt mit dem Kreislauf der Gewalt.
Der 1 km lange, ausgeschilderte Weg führt einmal durch diese grau-braune Szenerie bis wir die raue Lavaküste zum offenen Meer erreichen. Hier wimmelt es in der Luft vor Vögeln. Längst habe ich all ihre schönen Namen vergessen. Ich setze mich nieder und lausche dem Flügelschlag der Vögel, der sich unter das Pfeifen des Windes mischt. Immer wieder ziehen jagende Fregattvögel über unsere Köpfe hinweg, die sich als Opfer die hübschen Tropikvögel ausgesucht haben und ihnen ihre frischgefangene Beute streitig machen. Häufig haben sie Erfolg. Wie in einem Suchbild versuchen wir die Galapagos-Ohreule in all der landschaftlichen Monotonie zu finden. Maria, unserem Guide, gelingt es. Und auch wir erblicken sie schließlich durch das Fernglas.
Inzwischen ist der Nieselregen der Sonne gewichen – man spürt die Sonne auf der Haut. Es ist Zeit, wieder zum Boot zurückzukehren, wo noch vor dem Mittagessen die ersten Passagiere vom 7,5 m hohen Deck ins Wasser springen und neben Erfrischung unter dem Applaus der anderen Passagiere eine Mutprobe suchen.
Doch meine Mutprobe steht noch bevor. Wo morgens andere Passagiere Haie neben unserem Schiff filmten, springe ich ins Wasser. Zugegeben, wo Haie sind, bin ich lieber unter anstatt über Wasser und ziehe dennoch bei diesem Gedanken mit Bauchschmerzen das robbengleiche Schnorchelkostüm über. Von unzähligen Bildern und Berichten weiss ich, hier gibt es nicht mehr nur liebliche Riffhaie sondern manch großer Hammer… Hammerhaie sind nicht unüblich. Doch harmlos sollen sie sein. Dennoch ist es mir nicht ganz wohl. Das die Gefahr woanders lauert, ist mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz klar.
Unser letzter Schnorchelgang inmitten des Vulkankegels von Genovesa ist ein Kampf, nicht gegen große Fische, sondern nach Darwinscher Manier setzt sich der Stärkste unserer Gruppe durch. Es wird unter dem Druck von Strömung und dem bedrohlichen Gestein der scharfkantigen Vulkanwand geschubst und gedrängelt. Und immer wieder drücken mich andere Schnorchler gegen diese Wand oder schieben und Drücken mich. Ich gebe mich der natürlichen Selektion hin und werfe nach 20 Minuten das Handtuch. Die Sicht war ohnehin nicht so grandios wie an den Vortagen. Aber einen Hai habe ich beim Reinspringen tief unten im Sand schemenhaft gesehen. Es war ein Schatten – oder vielleicht auch nur das Bild meiner eigenen Angst? Wer weiß es schon.
Genovesa, auch Tower Island genannt, ist eine unbewohnte 14 km² große Insel auf der Nordhalbkugel. Neben den unzähligen Vogelnestern der Rotfußtölpel, für die diese Insel bekannt ist, war ich besonders von dem Darwin Beach begeistert, an dem uns abends die Sonne einen herrlichen Sonnenuntergang bescherte, den wir inmitten von Seelöwen genossen. Nach Genovesa kommt man als Tourist aufgrund der Lage nur mit einem Kreuzfahrtschiff.
Verfolgt die Reise auf Instagram unter #purecuador.
Unser Galapagos-Aufenthalt auf dem Schiff Santa Cruz, das durch Windrose und Studiosus im Deutschland gebucht werden kann, wurde von Metropolitan Touring unterstützt. Alle Ansichten sind meine eigenen.
Weitere Beiträge zu Galapagos:
- Galapagos – Rückkehr aus dem Paradies
- Willkommen auf Galapagos: Baltra und Las Bachas (Tag 1)
- Santiago – Galapagos ist Expedition (Tag 2)
- Rabida, Bartolome und 370 Stufen zum Postkartenmotiv (Tag 3)
Weitere Beiträge zu unserem Akklimatisierungsprogramm für den Cotopaxi und #high5:
- Cotopaxi – Flachwanderer goes High Five
- Ecuadors 5000er in 5 Tagen – Akklimatisierung leicht gemacht
- Wenn der Berg ruft – Pasochoa
Weitere Beiträge zu unserer aktuellen Ecuador-Reise:
- Quito und seine Höhepunkte
- Wohin die Reise geht
- Huasquila – am Rande des Amazonasgebiets
- Urwald-Theater am Napo: Papageishow mit Ehrengast
Auch hier, wie schon bei Gerry, wunderschöne Aufnahmen, die Lust auf eine Reise zu den Galapagos-Inseln machen. Danke für die Appetithäppchen 😀
Gerne doch und guten Appetit 😉 LG, Madlen
Genovesa hat mich schon sehr beeindruckt! Nicht nur das gemeinsame Mittagessen bei Euch auf der „Santa Cruz“. Ich habe schon überlegt, welche der Inseln eigentlich meine Lieblingsinsel ist? Schwierig zu sagen, jede der Inseln hat ihre eigene Stimmung und ist einzigartig. Aber Genovesa ist für mich ziemlich „weit oben“ auf der Beliebtheits-Skala.
Hey Gerhard, da geht es mir ähnlich. Ich glaube, Genovesa ist mein Favorit 😉 LG
Madlen