Wieder fährt eine Stretchlimousine an uns vorbei, um nur kurz darauf anzuhalten und sich in die Schar der parkenden Limousinen einzureihen, die bereits viele Parkplätze an der Kurmandshan Datka Straße Ecke Muminowa einnehmen. In einer Stadt, die nicht unbedingt mit Prunk um sich schmeißt, sondern eher mit sonderbarer Schlichtheit und funktionalem Sowjet-Schick, fragt man sich, was es damit auf sich hat. Die Antwort liegt nur einen Steinwurf entfernt in einem viergeschossigen Plattenbau, der die Aufschrift Bakyt Üj trägt. Für diejenigen, die die kyrillischen Buchstaben nicht entziffern können, bringen die ineinander verschlungenen goldenen Ringe, die den Schriftzug zieren, Aufschluss. Das Haus des Glücks beherbergt das Standesamt von Osch. Nach der Anzahl der Limousinen zu urteilen ist Heiraten ziemlich in oder zumindest traditionell gut verankert, denn mit Mitte 20 sollte man schon unterm Hut sein, wie uns junge Leute immer wieder schmunzelnd bestätigen, als sie uns drei unverheirateten Enddreißigerinnen die kirgisische Welt erklären. Auch wenn ich vor meiner Reise häufig etwas von der Tradition des Brautklaus hörte, mag ich in diesem Umfeld doch nicht genau nachhaken.
Wir suchen nach schönen Dingen in der zweitgrößten Stadt Kirgisiens und werden ein Stück weiter im Alymbek-Datka-Park fündig. Da ist ja eine Hochzeitstorte! Wo Mütter gelangweilt ihre Kinder per Fernbedienung in Spielzeugautos Kreise drehen lassen und alte kirgisische Männer mit hohen, zylindrischen Filzhüten, den Kalpaks, auf schattigen Bänken einen Plausch halten, und Verkäufer an ihren Ständen auf Kundschaft warten, ragt eine überdimensionale Jurte aus dem sonst eher trostlosen Ambiente gen Himmel. Die vermeintliche Hochzeitstorte beherbergt Ausstellungen des Heimatmuseums in ihrem Inneren und ist die einzige Jurte weltweit, die sich über drei Stockwerke erstreckt. Dahinter geht es ein paar Stufen hinauf, wo versteckt das Mausoleum Asaf-ibn-Burkhiya aus dem 11. Jahrhundert liegt.
Es ist Zeit für wahre Höhepunkte und da kommt man in Osch nicht an dem vierzackigen Felsmassiv vorbei, auf das man von allen Seiten der Stadt zusteuert. Der Suleiman Too ist ein bisschen wie der Tafelberg für Kapstadt – ein Wahrzeichen und beliebtes Ausflugsziel zugleich. Der heilige Suleiman-Berg zog zu allen Zeiten Reisende, darunter auch Historiker, Geografen, Archäologen und Orientalisten an. Er wird auch als „Zweites Mekka“ bezeichnet. Bevor Pilger die heilige Kaaba besuchen, kommen sie hierher. Seit 2009 zählt das Ensemble mit Felsen, Grotte, Mausoleen und Felszeichnungen zum UNESCO-Weltkulturerbe und wird mit seinem über mehrere Jahrtausende gewachsenen System von Kultstätten laut UNESCO als das am besten erhaltene in ganz Zentralasien angesehen.
Wir wollen den 1100 m hohen Berg erklimmen, um die Aussicht über Osch und die Fergana-Ebene zu genießen. Es ist Freitagmittag und so sind viele auf der Gapar Ajtijewa-Straße in Richtung große Moschee unterwegs. Wir schlagen hinter der Moschee den Weg zum Heimatkundemuseum Suleiman-Too hinauf ein. Es ist der längere Weg, den wir für den Aufstieg gewählt haben. Hinter dem Museumseingang, der in eine Grotte führt, wird nun auch Eintritt (20 SOM) für die Besteigung des Suleiman Too verlangt. Junge Familien kommen uns immer wieder auf dem schmalen Pfad entgegen, von dem man wieder auf die Moschee und den Friedhof hinabschaut. Fast an der Aussichtsplattform oben angekommen, rutscht eine Frau mehrfach auf einem abgewetzten Stein, der wie eine verkürzte Rutsche wirkt, hinab. Das muss die glänzende Rinne sein – die Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch auf der Hoffnung nach einer Schwangerschaft hinabrutschen. Die Plattform selbst ist abgesperrt – hier werden an diesem Tag Malerarbeiten getätigt. Und auch die kirgisische Flagge hängt schlapp herab, Osch liegt unter einer Dunstglocke.
Für den Abstieg nehmen wir den kürzeren Weg mit den steilen Treppenstufen, um schneller das Zentrum zu erreichen. Osch ist seit jeher eine Handelsstadt und so machen wir uns auf den Weg zu dem Ort, an dem noch heute fleißig gehandelt wird – dem Dshajma-Basar (Jayma-Bazaar). Seit über 2000 Jahren wird am selben Ort westlich des Ak-Buura-Flusses verkauft und gekauft. Nicht nur Kirgisen, sondern auch Usbeken, Chinesen, Tadschiken sind hier aktiv – ein internationales Business eben. Die Tradition der alten Seidenstraße, deren Ableger Osch kreuzte, lebt hier noch weiter. Auf einem der größten Basare in Zentralasien kaufen die Einwohner ihre Sachen, die sie benötigen. Man könnte sagen, alles was das Herz begehrt, doch wenn wir ehrlich sind, begehrt das kirgisische Herz auch mehr, als Klamotten, Ersatzteile und sonstigen Krimskrams aus China, den man hier erwerben kann. So schwärmte unser Wander-Guide im Alai-Gebirge immer wieder von Deichmann, kik und Co. – in denen er auf seiner Deutschlandreise endlich mal befriedigend shoppen konnte und das mit „high Quality“ wie er immer wieder versicherte. Denn in der zweitgrößten Stadt Kirgisiens fehlt es an solchen Einkaufsmöglichkeiten. Dafür hat sie mit dem Dshajma-Basar einen farbenfrohen Markt – und so ist hier viel frisches Obst und Gemüse neben Trockenobst und Nüssen aufgetürmt während Lammköpfe von den Haken hängen. Der Basar ist täglich von den frühen Morgenstunden bis ca. 6 Uhr abends geöffnet.
Nachdem wir uns im Gewirr von Ständen und Containern – ja, in Zentralasien müssen oft Container wie von Mærsk, Hamburg Sued und Co. als Marktstand herhalten – einen Überblick verschafft haben, kehren wir zum Fluss Ak-Buura zurück, um an dessen Ufer entlang zu spazieren. Es ist sehr grün hier in den ausgedehnten Parkflächen und dennoch ist vieles rostig und einfach in die Jahre gekommen. Mit ein wenig mehr Liebe und Geld könnte es hier wunderschön aussehen, doch stattdessen dümpelt alles so vor sich hin. Karusselle und ein Riesenrad laden die junge Oscher Bevölkerung zum Freizeitspaß im Nawoi-Park ein. Am Fuße des Riesenrads dämmert eine alte JAK-40 vor sich hin und bietet ein bizarres Fotomotiv. Ich weiß nicht, wie sehr man den Gerätschaften vertrauen mag.
Wir laufen am schattigen Fluss entlang, wo Kinder ins kühlende Wasser springen. Ziel sind die Grünflächen des Meerim-Parks und Toktogul-Satylganow-Parks, wo wir ein Restaurant suchen. Hinter dem Stadion wippt ein Hochzeitspaar zu Musik von Céline Dion in einer kleinen Bootsschaukel hin und her, während ein Mann sie dabei filmt.
Hinter der Lenin-Statue am Rande des Parks tanzt eine Hochzeitsgesellschaft ausgelassen über den Platz. Limousinen reihen sich aneinander. Im Land des einst populärsten sowjetischen Schriftstellers, Tschingis Aitmatow, der mit seinem Roman „Dschamilja“ eine der schönsten Liebesgeschichten der Welt schrieb, gehört das wohl dazu. Ich frage mich, ob man mit den prunkvollen Hochzeiten dem Stadtbild etwas entgegensetzen will. Ja, man sieht einige dicke Autos auf den Straßen, dies hatte unser Guide im Alai-Gebirge bereits angekündigt. Er beantwortete meine Frage, welche Wirtschaftszweige es in Osch so gibt, nach einer langen Denkpause mit – „man arbeitet entweder für die Regierung und Stadt, vielleicht auch im Handel (womit dann der Basar gemeint ist) oder ist im Drogengeschäft.“ Und er fügte hinzu „Eure Jobs gibt es da nicht.“
Babur, der Nachkomme Timurs und Begründer der indischen Moguldynastie, soll einst lange auf dem Suleiman-Berg in Osch gesessen und nachgedacht haben, ehe er zu dem Schluss kam, dass das Ferganatal für seinen Ehrgeiz und seine Träume zu beengend war.
Während man über die Weite der Ferganaebene schaut, sucht man im aufgewirbelten Staub den Horizont. Die 3000 Jahre alt Stadt Osch ist kein Traumort aber bietet viel Raum zum Träumen.
Was man sonst noch wissen sollte?
Osch liegt am Pamir Highway. Viele starten oder beenden hier ihre Tour auf der zweithöchsten Fernstraße der Welt. Osch hat auch einen kleinen Flughafen.
Übernachten:
- Konok Hostel (2 Dorms, Bett 500 SOM) Kurmanjan-Datka 262, Osch
- Homestay von Ulugbek Sharipov
Restaurants:
- Izyum: 214, Lenin Uliza, Osch
- Restaurant Tsarskiy Dvor, Lenin Uliza, Osch
- California Café, Lenin Uliza, neben OSTU, Osch
Mehr zu unserer Route erfahrt Ihr auch hier
- Auf dem Pamir Highway – von Duschanbe nach Khorog
- Auf dem Pamir Highway – Khorog und der Wakhan-Korridor
- Duschanbe – ein Tag in der Montagsstadt
Meine Reise wurde unterstützt durch die PECTA in Zusammenarbeit AKF/MSDSP Kyrgyzstan and Tajikistan, GIZ Tajikistan, KCBT, Orom Travel, Tcell, MATT und Kyrgyz Concept.
Alle Ansichten sind meine eigenen.
Ich war 2007 in Osh. Da scheint sich nicht wirklich viel geändert zu haben. Hochzeiten gab es damals schon. Und der Markt/Bazar war einmalig: so groß und bunt!
Ich glaube tatsächlich auch, dass sich dort nicht so viel verändert hat und verändern wird. LG, Madlen